# selbstgeboren oder wann ist eine Geburt eine Geburt

31. März 2014 9 Von Arlette
Ein Eintrag im Gesichterbuch hat mich neugierig gemacht. Die Website dann eher wütend. Die Rede ist von  #selbstgeboren, einem Buchprojekt einer Hebamme. Ein Buchprojekt über selbstbestimmtes Gebären, ohne medizinische Intervention. Aufhänger ist der aktuelle Hebammenprotest.
Ein Projekt, das mich tatsächlich verletzt, obwohl die Initiatorin glaubhaft versichert, Frauen wie mich nicht verletzen zu wollen damit. Sie tut es trotzdem, ich habe inzwischen so einige Blogposts dazu gelesen.

Wir haben drei Kinder. Alle diese Kinder sind mittels Kaiserschnitt auf die Welt gekommen, keinen davon hatte ich haben wollen. Mit dem ersten habe ich gehadert bis nach dem dritten.
Wir wünschen uns ein viertes Kind. Ob wir das wagen dürfen, werden wir sehen. Das hängt davon ab, ob mein Gewebe nach dem dritten Kaiserschnitt nochmal gut genug ausheilt. Ein Kaiserschnitt ist eine große Bauch-OP mit den zugehörigen Risiken und Nebenwirkungen, und ich kenne nicht eine einzige Frau, die sich dieses Risikos leichtfertig oder aus Angst vor den Schmerzen bei einer spontanen Entbindung ausgesetzt hätte. 
Dafür kenne ich so einige Frauen, die mit ihren Kaiserschnitten hadern, immer noch und immer wieder. Die sich rechtfertigen für diesen Geburtsmodus, die das Gefühl haben, sich entschuldigen zu müssen, versagt zu haben, weniger wert zu sein. Weil sie nicht in der Lage waren, ihre Kinder ‘natürlich’ zu gebären. Eine davon begegnet mir jeden Tag im Spiegel.
Alle diese Frauen, soweit es die betrifft, die ich kenne, unterstützen den Hebammenprotest. Aus Überzeugung. Aus der Kenntnis darüber, wie wichtig dieser Berufsstand ist, auch und gerade bei Krankenhausgeburten. Auch und gerade bei Kaiserschnittentbindungen, nach denen so einiges nicht so gut klappt – Milcheinschuß später, Rückbildung langsamer, und die Schnittschmerzen sind auch nicht so ganz ohne.
Und dann kommt Anna Virnich und schlägt – sicher in bester Absicht und ohne böse Hintergedanken – nicht wenige Frauen heftig vor den Kopf. Sind das nun alle die Geisterfahrer, die sie falsch verstanden haben? Oder ist die Formulierung dessen, was sie so salbungsvoll als selbstgeboren beschreibt, vielleicht wirklich unglücklich und tritt Frauen, die es nicht ohne Intervention geschafft haben, ihre Kinder auf die Welt zu bringen, massiv auf die Füße?
Mir tritt sie auf die Füße, mich verletzt das, was da als selbstbestimmte Geburt definiert wird, und mich macht das Pathos über die ” Verantwortung für den eigenen Körper und den Lebensbeginn der eigenen Kinder” wütend.  Und das nicht zu knapp. Ich finde den Berufsstand der Hebamme immens wichtig. Und ich finde das, was da aktuell passiert, mindestens skandalös. Es darf nicht sein, dass ein ganzer Berufsstand von der Versicherungswirtschaft an der freien Ausübung des Berufs gehindert wird, weil sich keine Angehörige dieses Berufsstands mehr die Versicherungsbeiträge leisten kann. Oder weil bald gar keine Versicherung mehr überhaupt die Risiken abzusichern bereit ist, egal, wie hoch die Prämie ist.
Ich glaube, so weit sind sich alle, die den aktuellen Hebammenprotest mittragen, einig. Und das sind eben auch die Mütter, die mit Kaiserschnitt entbunden haben. Gar nicht so wenige.
Die scheinen aber, glaubt man der Buchprojektbeschreibung von Anna Virnich, eigentlich gar nicht geboren zu haben. Geboren, bzw. selbst geboren haben nach ihrer Definition nämlich Frauen, bei denen die Entbindung “frei von Manipulation oder Eingriffen von Außen. (D.h: Ohne künstlich eingeleitete Wehen, PDA, Kristellern, Dammschnitt, Saugglocke oder Kaiserschnitt.)” verlief.
Aha.
Damit möchte Frau Virnich “Frauen, Mädchen und jungen Familien in dem Glauben an die eigene Kraft, ihre Geburt selbst bestimmt erleben zu können bestärken. Mit einem inspirierenden Buch über (die) Fähigkeit aus eigener Kraft gebären zu können, will ich ermutigen, die Verantwortung für den eigenen Körper und den Lebensbeginn der eigenen Kinder nicht aus der Hand zu geben. Wir können die Selbstbestimmung zurück nach Hause holen. Von erfahrenen Frauen lernen und unabhängig sein von politischen Debatten, die in diesem Bereich nichts verloren haben.”
Sehr ehrenwert. Und leider sehr mißverständlich für sehr viele, die einen “manipulierten Geburtsverlauf ” hatten. Haben wir nun alle die Verantwortung aus der Hand gegeben, oder wie?
Mein erster Kaiserschnitt war eine sekundäre Sectio nach Geburtsstillstand. Unter Vollnarkose, weil die spinale Anästhesie nicht wirkte und die Zeit knapp wurde. Es war traumatisch, und über die verpasste erste Stunde im Leben meiner älteren Tochter war ich sehr lange sehr traurig.
Noch trauriger wäre ich sicher gewesen, wenn sie ihre Geburt nicht oder nur mit einem Hirnschaden überstanden hätte. Was sehr sicher Konsequenz eines manipulationslosen Geburtsverlaufs gewesen wäre. Aber hey, ich hätte dann wenigstens selbst geboren, und auch keine verdammten Schnittschmerzen und Narbenprobleme gehabt, nicht wahr?
Mein zweiter Kaiserschnitt war eine sekundäre Sectio nach drei Stunden Presswehen und der Feststellung, dass die Pippi sich wie ein Korken in der Flasche immer wieder drehte. Zum Erstaunen der betreuenden Hebammen und Ärzte. Die Entscheidung fiel nach insgesamt 18 Stunden Wehen und allen möglichen Versuchen, das Gör irgendwie anders herauszulocken. Mein Mann konnte das Kind bereits am Kopf streicheln, und trotzdem wurde geschnitten. Ich habe stundenlang geheult und mich wie eine Versagerin gefühlt. Am schlimmsten war, dass mein Baby von mir getrennt wurde, während ich die Nachwirkungen der spinalen Anästhesie im Aufwachraum loszuwerden versuchte. 
Mein dritter Kaiserschnitt war geplant in der 40. Schwangerschaftswoche. Ich habe einige wenige Wehen gehabt, am Vortag und in der Nacht vor der OP, und ich habe sehr geknapst an der Tatsache, dass mir das Erlebnis einer natürlichen Entbindung versagt bleibt. Aber ich habe gesehen, wie mein Sohn aus dem Bauch gehoben wurde, ich habe das blutverschmierte Bündel Mensch nackt auf der Brust gehabt, und bei mir behalten, Haut an Haut, nur er und ich. Niemand hat ihn weggenommen von mir, ich konnte sehr schnell wieder aufstehen und an Tag 5 nach der Entbindung meine größeren Kinder zu Fuß aus dem Kindergarten abholen, mit dem Wicht im Tuch. Das hat mich ein bißchen versöhnt mit der Schnittentbindung und auch den beiden vorhergehenden Kaiserschnitten.
Wenn aber diese drei Schnitte letztlich die Anzahl der bei uns lebenden Kinder bestimmen sollten, werde ich wieder hadern.
Das letzte, was ich dabei noch brauche, sind Hebammen wie Anna Viernich, die durch ihre Formulierungen dessen, was eine gute Geburt ausmacht, dieses Gefühl des Versagens verstärken.
Ich glaube ihr, dass sie diese Formulierungen nicht als Angriff auf Mütter, die eine wie auch immer geartete “Manipulation” unter der Geburt zugelassen haben, zulassen mußten, meint. Ich finde aber, dass eine Hebamme qua Beruf eine hohe Verantwortung für werdende und frisch entbundene Mütter hat, und zwar unabhängig von der Art und Weise, wie entbunden wird. Und deshalb auch aufpassen sollte, wie sie was formuliert.
Die liebevolle Wochenbettbetreuung, die Unterstützung bei Stillstart und Babyblues, das einfach da-sein für mein Hormonchaos, meinen Gefühlsüberschwang, dieses Emotionsgewitter mit mir aushalten und mein Glück über das neue Leben teilen, das haben alle drei Hebammen, die ich bisher hatte, wirklich großartig gemacht. Keine hat mir das Gefühl gegeben, versagt zu haben. Alle drei haben versucht, mir die Last mit dem Schnitt zu nehmen. Ganz gelungen ist es keiner.
Ich wünsche dem Hebammenprotest von ganzem Herzen Erfolg. Und ich wünsche dem Berufsstand Frauen, die in der Lage sind, auch und gerade die Schwangeren und Mütter empathisch und zugewandt zu betreuen, die Hilfe in Anspruch genommen haben, Hilfe medizinischer Art bis hin zur Sectio. Ohne den Frauen dabei zu vermitteln, sie hätten versagt bei dem elementarsten, was Frauen so machen. Kinder zur Welt bringen nämlich.