Gut gegen Heimweh – RUMS # 6/2017

9. Februar 2017 6 Von Arlette
Wenn der Blogname Programm ist….
Momentan ist das mit dem Heimweh mal wieder besonders ausgeprägt, und das verlorene Gefühl in der Stadt, in der ich eigentlich nicht sein will, schlimmer als in anderen Jahreszeiten. Den Winter in Berlin finde ich, seit wir hier wohnen immer schrecklich. Mir wird dann regelmäßig sehr bewußt, dass das Leben in dieser Stadt ein sehr großer Kompromiß ist für mich, denn freiwillig wäre ich nie, nie, niemals hierhergezogen. 
Nun ist es so und ich mach im Rahmen meiner Möglichkeiten das Beste draus. Aber mein Herz schlägt nach wie vor für die in meinen Augen schönste Stadt von allen. Die, die ich mir selbst ausgesucht hatte, in der ich erwachsen wurde und die meine Herzensheimat war und ist. Aus der ich niemals wegwollte, bis dann das Leben halt andere Pläne hatte / Pathosmodus off.
war ich im Frühsommer 1996. Meine Güte, ist das lang her. Nie hätte ich mir vorstellen können, da wieder wegzugehen.
Ich nutze also auch nach mehr als sieben Jahren im Exil noch immer jede Gelegenheit, nach Hamburg zu fahren, mit und ohne Kinder, und ein bißchen Heimat zu tanken – und sei es der Besuch beim Zahnarzt. Der kommt angesichts meiner freundlich gesagt miserablen Zahnsubstanz wenigstens in schöner Regelmäßigkeit vor, und aktuell habe ich zwei echte Großbaustellen. Vorletzte Woche ging es allerdings ganz sutsche mit nur einer Stunde Zahnarzt, aber neun Stunden kinderfreiem Aufenthalt in der Stadt los. Das hat gutgetan. Also, die kinderfreie Zeit in Hamburg. Über den Zahnarztbesuch, vor allem dann den zweiten, von letzter Woche, schweige ich lieber. Ibuprofen ist mein Freund, und auch der bequemste Zahnarztstuhl der Welt drückt nach spätestens drei Stunden ziemlich.
Bei Besuch Nummer eins, vorletzte Woche, hatte ich ZEIT. Richtig Zeit. Ich habe mich nacheinander mit drei tollen Frauen getroffen, und kein Kind hat währenddessen an meinem Bein gezupft, meine Klamotten mit Essbarem oder Rotz beschmiert, sich an unpassendster Stelle einen Wutanfall gegönnt oder mir erklärt, mein Hang, soviel wie möglich an diesem einen Tag zu Fuß zu machen und mir meine Stadt mal wieder aus der Nähe anzusehen, sei “eine echte Schei*idee, Mama”.
 Ich bin von Rotherbaum, wo mein Zahnarzt sitzt, zunächst durchs Grindelviertel (wo ich bei Pappnase diese entzückenden Postkarten gekauft habe, und tolle Brausetütchen für die zuhausgebliebene Bande) in die Schanze gelaufen. Dort habe ich eine liebe Bekannte, die tolle Bücher schreibt, auf einen Kaffee getroffen. Schade, ich hätte da auch bis zum ersten, zweiten oder dritten Bier sitzen und schnacken können. Aber sie mußte zum Kindergarten, und ich war zum Abendessen mit meiner ältesten Lieblingsfreundin verabredet. In Bahrenfeld. Und ich hatte noch Zeit genug, aus der Schanze nach Altona zu laufen und einen Abstecher zu Frau Tulpe zu machen, wo ich ein paar schöne Webwarenstoffe für mein Jahresgroßprojekt gekauft habe. 
 Von dort dann also weiter nach Bahrenfeld, lecker Essen und Zeit zum quatschen. Ohne Kinder. Früher, in meinem alten Leben, haben meine Freundin und ich uns sehr regelmäßig abends getroffen und geschwatzt. Unter Beteiligung von viel lecker Rotwein, den ich dann ab Spätherbst 2008 durch lecker Rhabarberschorle ersetzt hab. Aus Gründen ♥. Heute wohnen wir 308 km auseinander, ich hab vier Kinder und sie einen Hund. Wir haben nicht mehr so viel Zeit wie früher, um lange Mädchenschwatze zu halten. Aber wenn, dann ist es so vertraut und schön wie vor acht, zehn oder zwanzig Jahren. So lange kennen wir uns schon. 
Leider hat die Zeit ja die lästige Angewohnheit, dann besonders rasch zu vergehen, wenn es gerade richtig gut ist. Und so war es viel zu schnell Zeit für meinen letzten Spaziergang in Hamburg an diesem Tag. 
Ich hasse es, in solche Züge einzusteigen. Jedes Mal wieder. In meiner perfekten Welt würde ich samt meiner Sippe in Hamburg wohnen und vielleicht mal zu Besuch nach Berlin fahren. Aber was ist schon perfekt, und alles Glück kommt eh nie.
 Ich habe mir eine schöne Erinnerung an diesen Tag gebastelt, und ein Bild gegen Heimweh. Statt die Postkarten, wie ich es eigentlich geplant hatte, einfach nur schnöde an die Wand zu kleben, hab ich beim Schweden einen Rahmen gekauft und ein bißchen blaues Tonpapier als Passepartout genutzt. Fertig. Heute also mal kein genähter RUMS, dafür einer, der gut gegen Heimweh ist. Und über den ich mich jeden Tag freue. Ich hab den Rahmen extra so gehängt, dass ich von meinem Lieblingssitzplatz aus gut draufgucken kann.