19. August 2011, 19:13 Uhr, Klinikum Berlin-Buch
Sechs Jahre.
Ende der 41. Schwangerschaftswoche: “das Kind ist groß und schwer, und die Plazenta verkalkt langsam. Wir haben jetzt nicht mehr allzuviel Zeit, sie sollte sich allmählich auf den Weg machen. Bitte gehen Sie übermorgen in das Krankenhaus, in dem sie angemeldet sind, und lassen da ein CTG machen und sprechen die auf eine Einleitung an, wenn sich weiterhin nix tut”. So verabschiedete sich die Frauenärztin in den Urlaub, und meine Stimmung hätte nicht nullpunktiger sein können. Ich hatte nämlich, wie so viele Frauen am Ende einer Schwangerschaft, einfach keine Lust mehr, dafür aber einen Riesenbauch und keine Nerven mehr. Aber meine zweite Tochter dachte gar nicht daran, sich in Bewegung zu setzen, so dass ich in der darauffolgenden Woche noch zweimal den Weg ins Krankenhaus antrat, um das fällige CTG machen zu lassen. Am Donnerstag dann die Besprechung zur Einleitung mit der Ärztin, die mich noch über das Wochenende hinaus vertrösten wollte, weil “morgen stehen schon so viele Kaiserschnitte auf dem Plan, Montag wäre besser”. Äh, nein. Ich hatte an diesem Donnerstag das sehr sichere Gefühl, wir gehen über kein Wochenende mehr, weil dem Kind das nicht bekommen wäre. Intuition. Ich bin der Ärztin gegenüber ziemlich direkt und etwas lauter geworden. Letztendlich haben wir uns auf Freitag geeinigt. Aber offenbar hatte Madame dann doch ein einsehen und hat mir zumindest die Einleitung erspart. Am Abend des 18.August 2011 so ab halb elf etwa kamen sie endlich, die Wehen. In Abständen, bei denen relativ bald klar war, das ist kein Vorgeplänkel. Aber die Kreißsäle sind voll, also erstmal zu Hause warten und beobachten. Ich hab keinem was gesagt und den Rest der Familie vorerst ganz normal ins Bett geschickt. Gegen halb vier dann lieber doch: wir fahren dann mal. Den Kindsvater geweckt, die Oma der Liese informiert, über die leere Autobahn, wieder ins Krankenhaus. 04.32 Uhr, die Klingel am Kreißsaal, sehr regelmäßige Wehen in kurzen Abständen, der erste Befund: 5-6cm eröffnet, wir sind mittendrin. Die Hebamme der Frühschicht um 06.00 Uhr: 8cm, Klasse, das Kind kommt in meiner Schicht. Große Erleichterung meinerseits, einen zweiten Kaiserschnitt wollte ich unter keinen Umständen und 8cm war schon so viel mehr, als ich bei der Liese überhaupt hinbekommen hatte.
Naja. Es kam dann anders, wie so oft, wenn es um die Pippi geht.
21:00 Uhr. Die spinale Anästhesie hatte endlich so weit nachgelassen, dass ich aus dem Aufwachraum auf die Wöchnerinnenstation gebracht wurde (zum Beweis mußte ich mit den Zehen wackeln, ich finde das auch sechs Jahre später alles so unfassbar), wo mein knapp zwei Stunden altes zweites Kind bei den Säuglingsschwestern in Obhut war, während Papa die Oma und die frischgebackene große Schwester und den ganz großen Bruder zu Hause abholte. Wieder nicht bei mir. Sie haben sie mir ganz kurz gezeigt und hingehalten nach dem Schnitt, und dann weggebracht. Und ich mußte in den allgemeinen Aufwachraum und eine Diskussion über Kaiserschnitte führen. Wtf, echt. Das hatten sie im Vorgespräch alles ganz anders versprochen und dargestellt.
Sechs Jahre ist das her, sechs Jahre und einen Tag. Ich kann nicht fassen, das sie jetzt so groß ist, dass wir sie in drei Wochen einschulen. Die Mappe haben wir schon, das lesen bringt die Liese ihr eigentlich auch schon bei, und sie ist soooo aufgeregt, die große, kleine, wunderbare, sturköpfige, dickschädelige, cholerische, warmherzige und empathische Pippi. Mein kleiner fast-Rotschopf, meine große Herausforderung an meine Geduld, meine explosive Temperamentsmischung. War die Liese die pflegeleichte Einsteigerversion eines Babys, die mich leicht hochmütig denken ließ, wir hätten das als Eltern doch alles selber in den Händen, wie entspannt und easy das Leben mit Baby und Kleinkind sein kann, so belehrte mich die Pippi schon mit den Umständen ihrer Ankunft eines absolut besseren. Heiliger Strohsack. Es ist über die Jahre einfacher geworden, aber ihre Temperamentsausbrüche sind geblieben, sie sind nur seltener geworden und es ist möglich, zumindest hinterher über das Emotionsgewitter in ihrem Kopf und ihrem Bauch zu sprechen. Dieses Kind ist eine Wundertüte und ein Minenfeld und eine stetige Herausforderung an meine auch nicht üppig ausgeprägte Geduld. Sie hat mich sehr demütig werden lassen im Hinblick auf meine Fähigkeiten als Mama und meinen Einfluß auf die charakterliche Entwicklung eines Kindes. Sie hat einen so eigenen Blick auf die Welt und ihre ganz eigene Art, sich diese zu erschließen. Sie stellt Fragen, die ich oft genug erstmal mit “oh, das weiß ich jetzt auch nicht genau. Ich muß das erst nachgucken” beantworten muß. Sie haut Sprüche raus, die mich laut lachen oder peinlich berührt in die Ecke gucken lassen. Sie ist absolut ehrlich, unbestechlich, direkt und so total eins mit sich selber, dass ich sie oft genug darum beneide. Sie hätte gerne “neun Geschwister, aber nur Mädchen, Mama. Der Lieserich nervt” (muß ich dazu sagen, dass die beiden nicht mit-, aber schon zweimal nicht ohne einander können?). Ich bin ihre beste und liebste und ja eh einzige Mama, “auch wenn du manchmal viel zu streng bist und ich blöd finde, wenn du mit uns schimpfst und dann schreist. Außerdem solltest du mehr Süßigkeiten erlauben.” Sie ist die tollste 6jährige der Welt und ich bin so unglaublich dankbar, dass wir dieses lebenskluge, neugierige und philosophisch veranlagte garnichtmehrsokleine Mädchen bei uns haben. Ich bin sehr gespannt, wie der neue Lebensabschnitt für sie werden wird, und ich bin wehmütig, weil das alles so schnell geht.
Skateboard will sie jetzt lernen, und so hat sie sich gestern das steinalte Skateboard ihres Papas geschnappt und ihr Geburtstagsoutfit auf Sporttauglichkeit getestet. Läuft bei ihr (Schnitte: Vokuhila Raglan und Multifit-Leggins, beides von der erbsenprinzessin).
Meine Augustmädchen. Morgen: Geburtstag der Kleinsten. Der zweite. Auch schon wieder. Ich bereite dann mal die nächste Sause vor, solang die Bande mit Papa im FEZ ist und unter Verwendung geeigneter Schuhe und Schützer für Knie, Hände und Ellbogen sowie Helmen und auf glatten Böden die Sache mit dem Skateboard nochmal probiert.
Ich finde es immer wieder wunderschön und herzerwämend wie wundervoll, liebevoll und erfrischend du über deine Kinder schreibst. Da geht einem das Herz auf.
Noch mal herzlichen Glückwunsch an Gretchen Hexenzähnchen (btw. Ist der endlich Ausgefallen?) Sie ist wirklich ein ganz besonderes Mädchen! ♡
Liebste Grüße
Susi